Überblick über die aktuelle BFH-Entscheidung und ihre Bedeutung
Am 08. Mai 2024 fällte der Bundesfinanzhof (BFH) eine richtungsweisende Entscheidung, die möglicherweise weitreichende Auswirkungen auf die steuerliche Praxis in Deutschland haben könnte.
Der Beschluss mit dem Aktenzeichen „VIII R 9/23“ wurde erst am 22. August 2024 veröffentlicht und betrifft die Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Aussetzungszinsen, die Steuerpflichtige zahlen müssen, wenn die Vollziehung eines Steuerbescheides ausgesetzt wurde.
Dabei geht es im Kern um die Frage, ob die in der Vergangenheit festgesetzten Zinssätze, insbesondere in Bezug auf Aussetzungszinsen, mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Hintergrund der BFH-Entscheidung
Der Fall, den der BFH zu entscheiden hatte, begann mit einem Steuerpflichtigen, der gegen einen Steuerbescheid Einspruch eingelegt und eine Aussetzung der Vollziehung beantragt hatte. Diese Aussetzung wurde gewährt, doch am Ende blieb das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen erfolglos.
Daraufhin setzte das Finanzamt Aussetzungszinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat – also 6 % pro Jahr – fest, die nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen für solche Fälle vorgeschrieben sind.
Der Steuerpflichtige legte gegen die Festsetzung der Zinsen Einspruch ein und berief sich auf eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die festgestellt hatte, dass die Höhe der Zinsen für Nachzahlungszinsen jedenfalls ab dem 01.01.2019 verfassungswidrig sei.
Das Finanzamt und das Finanzgericht Münster wiesen dies zurück.
Ihre Argumentation: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 betreffe lediglich Nachzahlungszinsen, nicht aber Aussetzungszinsen, Stundungszinsen oder Hinterziehungszinsen. In diesen Fällen sei die Zinshöhe von 6 % weiterhin rechtmäßig.
Der Steuerpflichtige sah dies anders und zog vor den BFH. Er argumentierte, dass die unterschiedliche Behandlung der Zinsarten verfassungswidrig sei. Eine Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt, da es keinen sachlichen Grund gebe, warum für Nachzahlungszinsen andere Regelungen gelten sollten als für Aussetzungszinsen.
BFH legt den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor
Der BFH zeigte sich offen für die Argumentation des Steuerpflichtigen. Die Richter hielten es für möglich, dass die unterschiedlichen Zinsregelungen tatsächlich gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes verstoßen könnten. Insbesondere stellte der BFH infrage, ob es sachliche Gründe dafür gibt, Aussetzungszinsen, Stundungszinsen und Hinterziehungszinsen anders zu behandeln als Nachzahlungszinsen.
In der Entscheidung deutete der BFH bereits an, dass er keine sachlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Zinsen sieht. Zinsen dienen, so der BFH, in erster Linie der Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen. Dieser Grundsatz gelte unabhängig davon, ob es sich um Nachzahlungszinsen oder Aussetzungszinsen handelt. Eine Differenzierung sei daher nicht gerechtfertigt. Der BFH entschied daher, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, damit dieses über die Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe auch für andere Zinsarten entscheidet.
Praktische Auswirkungen für Steuerpflichtige
Die Entscheidung des BFH hat weitreichende praktische Konsequenzen für Steuerpflichtige und ihre Berater. Steuerpflichtige, deren Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind und bei denen Zinsen, insbesondere Aussetzungszinsen, festgesetzt wurden, sollten dringend prüfen, ob Einspruch gegen die Festsetzung der Zinsen eingelegt werden kann.
Es ist ratsam, Einspruch gegen die Festsetzung der Zinsen zu erheben und die Aussetzung der Entscheidung zu beantragen, bis das Bundesverfassungsgericht eine endgültige Entscheidung in dieser Sache getroffen hat.
Sollte das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss kommen, dass die bisherige Zinspraxis verfassungswidrig ist, könnten betroffene Steuerpflichtige von einer Herabsetzung der Zinsen profitieren. Steuerberater sollten ihre Mandanten daher auf diese Möglichkeit hinweisen und proaktiv handeln, um mögliche Nachteile zu vermeiden.
Risiken und Haftungsfragen für Steuerberater
Die BFH-Entscheidung hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Haftungsrisiken für Steuerberater. In Fällen, in denen Steuerpflichtige noch Einspruch gegen die Festsetzung von Zinsen hätten einlegen können, dies jedoch nicht getan haben, könnten Haftungsansprüche gegen die Berater geltend gemacht werden.
Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Zinshöhe verfassungswidrig ist, könnten Steuerpflichtige argumentieren, dass sie durch den unterlassenen Einspruch finanzielle Nachteile erlitten haben.
Deshalb ist es für Steuerberater besonders wichtig, die Bestände ihrer Mandanten genau zu prüfen und sicherzustellen, dass alle relevanten Fälle, bei denen Zinsen eine Rolle spielen, rechtzeitig geprüft und gegebenenfalls Einspruch eingelegt wird.
Dies gilt insbesondere für Steuerbescheide, die am Veröffentlichungsdatum der BFH-Entscheidung noch nicht bestandskräftig waren.
Handlungsempfehlungen
Die Entscheidung des BFH vom 08.05.2024 könnte zu einem wichtigen Wendepunkt in der steuerlichen Behandlung von Zinsen führen. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht in dieser Angelegenheit entscheiden wird.
Klar ist jedoch schon jetzt, dass Steuerpflichtige und ihre Berater wachsam sein müssen, um rechtzeitig auf mögliche Veränderungen der Rechtslage zu reagieren. Steuerberater sollten ihre Mandanten proaktiv informieren und darauf hinweisen, dass in offenen Zinsfällen ein Einspruch in Betracht gezogen werden sollte, um potenziellen Haftungsrisiken vorzubeugen.
Diese Entscheidung markiert einen weiteren Schritt in der rechtlichen Auseinandersetzung um die Höhe von Zinsen im Steuerrecht und könnte langfristig zu einer grundlegenden Veränderung der Zinspraxis führen.
Wenn Sie betroffen sind oder Fragen zu den möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf Ihre Steuerbescheide haben, stehe ich Ihnen gerne als Fachanwalt für Steuerrecht zur Verfügung. Lassen Sie uns gemeinsam prüfen, ob ein Einspruch für Sie sinnvoll ist und wie Sie am besten vorgehen.
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