Sozialversicherungspflicht als Dauerbrenner
Fragen der Sozialversicherungspflicht gehören zu den Dauerbrennern im Arbeits- und Steuerrecht. Besonders in Branchen mit projektbezogener Arbeit, wechselnden Auftraggebern und kreativen Tätigkeiten ist die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung oft schwierig.
Gerade im Medienbereich entstehen Unsicherheiten, da Einsätze häufig kurzfristig vereinbart werden, Arbeitsmittel vom Auftraggeber gestellt werden und die Zusammenarbeit in Teams erfolgt. Die Gerichte müssen deshalb immer wieder klären, welche Kriterien bei der Statusbeurteilung entscheidend sind.
Ein aktuelles Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. April 2025 (7 BA 24/24) zeigt, dass auch unter solchen Rahmenbedingungen eine selbständige Tätigkeit vorliegen kann und dass dabei die Weisungsfreiheit stärker wiegt als formale Aspekte wie die Nutzung fremder Geräte.
Hintergrund des Falls
Das Bayerische Landessozialgericht hatte im April 2025 über die Frage zu entscheiden, ob die Tätigkeit eines Slow-Motion-Operators und Highlight-Editor bei Live-Sportübertragungen als selbständig oder abhängig einzustufen ist.
Der Kläger, der sich selbst als selbständig tätigen Freiberufler einschätzte, arbeitete für eine Produktionsfirma in deren Übertragungswagen an einem fest installierten Festplattenrekorder. Seine Aufgabe bestand darin, Spielszenen auszuwählen, die in Zeitlupe wiederholt werden sollten, und besondere Szenen für Spielberichte und Analysen zusammenzustellen. Die so erstellten Sequenzen wurden unmittelbar an den Bildregisseur weitergeleitet, der sie ohne Prüfung in die laufende Sendung einspeiste.
Der Kläger erhielt für seine Einsätze eine Tagespauschale zwischen 330 und 420 Euro sowie eine Fahrkostenpauschale. Zwischen Oktober 2016 und Januar 2020 kam es zu insgesamt 47 Einsätzen, die jeweils einzeln vereinbart wurden.
Streit um den sozialversicherungsrechtlichen Status
Im Jahr 2020 beantragte der Kläger eine Statusfeststellung nach § 7a SGB IV. Die Deutsche Rentenversicherung stufte ihn als abhängig Beschäftigten ein, weil er keine eigenen Betriebsmittel einsetzte, an den Geräten des Auftraggebers arbeitete und ein unternehmerisches Risiko nicht erkennbar sei. Dagegen wandte sich der Kläger mit dem Hinweis, dass er aufgrund seiner besonderen Qualifikation gebucht werde, keine Weisungen erhalte und daher als freier Medienprofi anzusehen sei. Widerspruch und Klage führten schließlich vor das Sozialgericht München, das dem Kläger recht gab. Auch die Berufung der Rentenversicherung vor dem Bayerischen LSG blieb ohne Erfolg.
Das Gericht stellte klar, dass eine Tätigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV als Beschäftigung anzusehen ist, wenn Weisungsabhängigkeit und Eingliederung in eine fremde Organisation überwiegen. Im konkreten Fall habe der Slow-Motion-Operator jedoch weisungsfrei gearbeitet. Er wählte die Sequenzen eigenverantwortlich aus, ohne dass eine nachträgliche Kontrolle oder Korrektur stattfand. Selbst fehlerhafte Sequenzen wären unmittelbar in die Sendung gelangt. Ein festgelegter Produktionsplan existierte nicht, sodass der Kläger inhaltlich frei agierte.
Ort und Zeit der Einsätze ergaben sich nicht aus Weisungen des Auftraggebers, sondern aus den Ansetzungen des Sportverbandes. Hinzu kam, dass die Vergütung zwar pauschal erfolgte, der Kläger jedoch bei Ausfällen von Veranstaltungen Einnahmeverluste zu tragen hatte. Damit bestand durchaus ein unternehmerisches Risiko, auch wenn z.B. keine eigenen Geräte eingesetzt wurden.
Rechtliche Einordnung
Die Entscheidung stützt sich auf die gesetzliche Grundlage des § 7 SGB IV, wonach Beschäftigung eine nichtselbständige Arbeit darstellt, die insbesondere durch Weisungen und Eingliederung gekennzeichnet ist. Eine selbständige Tätigkeit hingegen setzt eigene unternehmerische Verantwortung, ein gewisses Risiko und die Freiheit in der Gestaltung der Arbeit voraus.
§ 7a SGB IV eröffnet die Möglichkeit, durch ein Statusfeststellungsverfahren Rechtssicherheit zu schaffen. Das LSG betonte, dass stets eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist, die nicht abstrakt nach Berufsbildern erfolgen darf. Auch Tätigkeiten im Medienbereich können je nach konkreter Ausgestaltung sowohl selbständig als auch abhängig sein.
Kernaussagen des Bayerischen LSG
Besonders bemerkenswert ist der Leitsatz des Urteils, nach dem ein Slow-Motion-Operator auch dann selbständig sein kann, wenn er keine programmgestaltende Tätigkeit im engeren Sinne ausübt. Die Richter machten deutlich, dass die eigenständige Auswahl und Gestaltung der Sequenzen in Live-Situationen eine ausreichende inhaltliche Unabhängigkeit darstellt.
Die Nutzung fremder Betriebsmittel im Ü-Wagen wiegt in diesem Zusammenhang nicht so schwer, dass sie die Eigenständigkeit überlagern könnte. Auch die Tatsache, dass der Kläger für verschiedene Auftraggeber tätig war und eigenständig seine Einsätze disponieren konnte, sprach für eine selbständige Tätigkeit.
Vergleich mit anderen Entscheidungen
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Vergleich mit dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. November 2022 (L 8 R 597/17. Dort ging es um die Tätigkeit eines Editors für die Sendung „Bauer sucht Frau“. Der Editor hatte die Aufgabe, aus bereits abgedrehtem Material die Folgen einer Staffel zu schneiden. Grundlage war jedoch ein detailliertes Drehbuch, das sowohl die Reihenfolge als auch die inhaltliche Dramaturgie der Folgen im Voraus festlegte. Der Editor setzte also ein bereits vorgegebenes Konzept um, ohne eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen zu können.
Das Gericht kam daher zu dem Ergebnis, dass der Editor keinen maßgeblichen Gestaltungsspielraum hatte. Er sei in die Produktionsorganisation eingegliedert gewesen und habe faktisch nur eine technische Umsetzung geleistet. In der Konsequenz wurde er als abhängig Beschäftigter eingestuft.
Während das LSG Nordrhein-Westfalen die fehlende inhaltliche Autonomie des Editors als ausschlaggebend für eine abhängige Beschäftigung bewertete, hob das Bayerische LSG genau die umgekehrte Situation hervor: Der Slow-Motion-Operator arbeitete zwar ebenfalls an fremden Geräten und im Übertragungswagen der Produktionsfirma, hatte aber die alleinige Entscheidungsgewalt über die Bildauswahl. Im Ergebnis führte diese eigenständige Tätigkeit dazu, dass er als selbständig einzustufen war.
Die beiden Urteile zeigen anschaulich, wie stark die sozialversicherungsrechtliche Bewertung vom konkreten Arbeitskontext abhängt. Während die Tätigkeit des Editors im Reality-TV durch ein enges Korsett an Vorgaben geprägt war, war die Tätigkeit des Slow-Motion-Operators von Spontanität, Verantwortung und künstlerisch-journalistischer Entscheidungskompetenz gekennzeichnet. Genau dieser Unterschied erklärt, warum im einen Fall abhängige Beschäftigung angenommen wurde, im anderen jedoch Selbständigkeit.
Praktische Lehren aus dem Urteil
Das Urteil des Bayerischen LSG macht deutlich, dass die Frage der Sozialversicherungspflicht nicht schematisch beantwortet werden kann, sondern immer eine Gesamtabwägung der konkreten Umstände erfordert. Im Mittelpunkt steht dabei die tatsächliche Freiheit der Auftragsausführung. Während ein Editor im Reality-TV aufgrund enger inhaltlicher Vorgaben als abhängig beschäftigt gilt, kann ein Slow-Motion-Operator bei Live-Übertragungen trotz fehlender eigener Betriebsmittel selbständig sein, wenn er eigenverantwortlich und ohne Weisungsbindung arbeitet.
Die Entscheidung zeigt, dass nicht die äußeren Rahmenbedingungen, sondern der tatsächliche Gestaltungsspielraum und das unternehmerische Risiko den Ausschlag geben. Für Freiberufler im Medienbereich ist dies ein wichtiges Signal, ihre Eigenverantwortung klar zu dokumentieren und im Zweifel durch ein Statusfeststellungsverfahren Rechtssicherheit zu schaffen.
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